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Schule und Computerspiele
von Rudi Zimmerman (Philosoph lebender Systeme)
Zusammenfassung
Die Schule verlangt von den Kindern eine Hemmung ihrer motorischen Bedürfnisse und eine Konsumierung vorgesetzten Wissens. Die Einschränkung der Kreativität und Belohnung von Unterwerfung löst Wutgefühle aus. Durch ein Notensystem werden nur wenige Kinder mit der Note 1 belohnt, die meisten werden durch Noten zwischen 2 und 6 bestraft. Diese negative Rückkopplung kindlicher Bemühungen boykottiert weitere Leistungsbemühungen. Die narzisstischen Bedürfnisse der Kinder werden frustriert. Computerspiele hingegen sind in der Regel nach dem Belohnungsprinzip programmiert und befriedigen die narzisstischen Wünsche der Kinder, indem sie auch geringe Aktivitäten am Computer mit Boni belohnen und somit eine Ausschüttung von Glückshormonen herbeiführen, die das narzisstische Gleichgewicht der Nutzer wieder herstellen. Der kleinste "Erfolg" wird im Computerspiel durch positive Rückkopplung belohnt. Der Mensch benötigt einen ausgeglichenen narzisstischen Befriedigungshaushalt und kompensiert Kränkungen in der Schule oder im Berufsleben mit Erfolgserlebnissen am Computer.
1. Einleitung: die Schuldprojektion der Öffentlichkeit
Es hat den Anschein, dass in deutschen Schulen ein Anstieg von Gewaltanwendung von Schülern gegenüber Lehrern zu beobachten ist, sei es, dass Lehrer von Schülern direkt angegriffen werden, Schüler ihre Aggressivität durch Beschädigung des Schulgebäudes befriedigen oder sogar einen sogenannten „Amoklauf“ durchführen, indem sie mit scharfen Schusswaffen in das Schulgebäude eindringen und durch deren Gebrauch Mitschüler und Lehrer verletzen oder gar töten. Besonders letztere Fälle gaben Anlass, einen Zusammenhang zwischen bestimmten Computerspielen, in denen mit relativ wirklichkeitsnaher Grafik auf virtuelle Menschen geschossen werden kann und die Tötung dieser „Menschen“ praktisch geübt werden kann, und den mit Schusswaffen durchgeführten Gewalttaten herzustellen. Es wird argumentiert, dass diese Computerspiele die Gewaltbereitschaft der Jugendlichen erhöhen würde und zu einer Verwischung der Grenzen zwischen Realität und virtueller Welt führen könnten.
An die Möglichkeit, dass die Schule bzw. unser Schulsystem Anlass zu reaktiver Aggressivität bieten könne, wurde bisher nie ernsthaft gedacht. Das ist sehr verwunderlich, da im Einzelfall in vielen Fällen bekannt wurde, dass die Täter unter Mitschülern oder unter der Schule bzw. unter schlechten Noten gelitten hatten und zumindest in einem Fall von der Schule verwiesen wurden. Es wäre also nahe liegend, daran zu denken, dass es sich um Gewaltakte handeln könnte, die als Racheakte ausgeführt wurden, dass also die Gewalt innerhalb der Schule entstanden ist.
Dieser naheliegenden Vermutung wurde bisher meines Wissens nicht nachgegangen, sondern als selbstverständlich davon ausgegangen, dass die Gewaltanwendung des Schülers von ihm ausging und er die eventuell vorausgegangenen disziplinarischen Maßnahmen gegen ihn sozusagen selbst verschuldet hat. Aus psychoanalytischer Sicht könnte man hier von einer Abwehr mittels Schuldprojektion auf den „Täter“ sprechen, die den psychodynamischen Sinn hat, die Schule und deren Vertreter von Schuld zu entlasten. Da das öffentliche Schulsystem, die Schulpflicht und das Notensystem von der Allgemeinheit getragen wird bzw. von der Gesellschaft eingerichtet worden ist, um die Kinder zu nützlichen Mitgliedern der Gemeinschaft heranzubilden, ist womöglich die Gesellschaft direkt betroffen, so dass der psychische Mechanismus, den Schülertäter als Buhmann an den Pranger zu stellen und die Gesellschaft von Schuld zu entlasten, ein ganz allgemeiner ist. Eine Schuldprojektion auf den Täter würde die Psychoanalyse allgemein als einen Abwehrmechanismus bezeichnen. In der Familientherapie ist bekann, dass es in der Regel tatsächlich nie einen Schuldigen gibt, sondern dass Handlungen stets eine Interaktion darstellen und dass Gewaltausbrüche das Ergebnis einer sich aufschaukelnden Interaktion sind, einer gegenseitigen positiven Rückkopplung nach dem Schema: A beleidigt oder provoziert B, daraufhin kontert B mit einer schärferen Beleidigung, A wiederum droht mit Gewaltanwendung, B antwortet mit einer Gegendrohung usw., bis es tatsächlich zu körperlicher Gewaltanwendung kommt. Dies ist der Hintergrund vieler Familiendramen, wobei es müßig ist, nach einem Schuldigen zu suchen, sondern die Interaktion in den Mittelpunkt der Therapie gerückt und versucht wird, eine Deeskalierung einzuleiten. Die Frage nach den Gründen einer Gewalteskalation impliziert also nicht, dass eine Personengruppe (die Lehrer oder die Gesellschaft, deren Vertreter sie sind) als Schuldige identifiziert werden soll, sondern es soll aus objektiver Sicht ohne Schuldvorwurf danach gesucht werden, ob und wo auch auf Seite der Schule im Vorlauf zu derartigen Katastrophen eine Gewaltanwendung gegen den Schüler zu finden ist. Die Grundthese ist also, dass die Gewalt nicht von außen, z.B. durch den Einfluss der Eltern oder von Videospielen, in die Schule hineingetragen worden ist, sondern dass sie innerhalb der Schule entstanden sein könnte.
2. Das Gewaltmodell der Philosophie lebender Systeme
„Gewalt“ ist nicht nur körperliche Gewalt. Die Philosophie lebender Systeme (www.lebende-systeme.de) geht davon aus, dass das Verhalten der Menschen durch Regelkreise gesteuert wird. Das Zentrum eines Regelkreises ist danach der Sollwert, bzw. der Sollwertbereich. Die Körperfunktionen des Menschen sind abhängig von einem Milieu, das durch Konzentrationen einiger Substanzen definiert wird. Es muss ein bestimmter pH-Wert im Blut vorhanden sein, eine bestimmte Sauerstoffkonzentration, ein bestimmter Glucosespiegel usw.. Diese Sollwerte werden ständig durch Rezeptoren überprüft, die dem Hirn einen Istwert melden. Weicht dieser Istwert vom Sollbereichsmittelwert ab, werden Aktionen in Gang gesetzt, die hinsichtlich der Selbsterhaltung des Individuums automatisch (unbewusst) erfolgen. Der Mensch atmet, wodurch die Sauerstoffkonzentration im Normbereich bleibt, der Mensch empfindet Hunger und isst, usw. usw.. Diese Aktionen werden vom sogenannten „Effektor“ des Regelkreises (Muskeln, Armen usw.) ausgeführt. Der Regelkreis hat also neben dem Sollwert einen Fühler (als Rezeptor) und einen Effektor. Für die Zentrale, die den Sollwert festlegt, hat die Kybernetik keinen besonderen Begriff geprägt, die Philosophie lebender Systeme bezeichnet ihn als „Dominator“. Dominator unserer Handlungen, die der Selbsterhaltung dienen, sind insofern die genetisch gespeicherten Sollwerte bzw. Sollwertbereiche. Diese legen die Grenzen unserer Handlungsfreiheit fest. Wir können die Atmung nur eine begrenzte Zeit willkürlich anhalten, wir können nur eine begrenzte Zeit ohne Wasserzufuhr und ohne Nahrungszufuhr überleben. Wird der Sollwertbereich verlassen, setzen Handlungszwänge ein, der Mensch muss nun handeln: atmen, trinken oder essen. Ein derartiger Zwang zum Handeln stellt eine Begrenzung unserer Entscheidungsfreiheit dar, die wir als „Gewalt“ definieren können. In dem Fall wirkt die Gewalt von innen. Wir identifizieren uns selbstverständlich mit ihr, da der Überlebenswille ein Grundantrieb menschlichen Handelns ist. Das hier beschriebene Modell von „Gewalt von innen“ ist daher für das tägliche Leben des Menschen völlig problemlos.
Probleme treten jedoch mit „Gewalt“ auf, wenn diese von außen auf uns einwirkt.
So kann der Mensch mit Naturgewalten konfrontiert werden, nicht nur mit plötzlich eintretenden (Monsterwellen, Hurrikane, Vulkanausbrüche usw.), sondern auch mit langsam sich verstärkenden Klimaveränderungen, die ihn zwingen, sein Verhalten umzustellen. Dieses Beispiel zeigt modellhaft das Wesen dessen, was wir als Gewalt erleben, nämlich eine äußere Veränderung, die uns zu einem Handeln zwingt, zu dem wir uns nicht frei entschieden haben.
Nur nebenbei sei das Problem der Klimaveränderung kurz benannt: es besteht darin, dass nicht ein Individuum betroffen ist, das mit seinem Handeln die Gefahr abwehren kann, sondern die Menschheit kann dieser Bedrohung nur kollektiv - durch gemeinsames Handeln - entgehen.
„Gewalt“ löst stets einen Handlungsimpuls mit dem Ziel aus, erneut einen gewaltlosen Ruhezustand zu erreichen, einen Zustand von Homöostase, wie der Biochemiker sagt. Dies ist ein Zustand, in dem sich das lebende System im Gleichgewicht befindet (Einfuhr=Ausfuhr), in dem sich äußerlich nichts ändert und subjektiv Zufriedenheit herrscht.
Nun ist der Mensch ein soziales Wesen, das in einer Gemeinschaft mit seinen Mitmenschen lebt und das nicht nur so bleiben will, wie es ist; sondern es wächst und hat die Tendenz, sich zu vergrößern, sich auszubreiten, mehr für sich zu beanspruchen. Der Mensch will nicht nur leben (Homöostase), sondern er will sich entfalten, will genießen, will Lust, Vergnügen, Freude, er will vor allem auch Lob und Bestätigung seiner Mitmenschen, will narzisstische Befriedigung. Letzteres ist der Grund für die Einordnung in die Gesellschaft. Jeder Mensch findet einen Platz, an dem er in Relation zu seinen Fähigkeiten und Möglichkeiten, die er durch lernen verbessern kann, ein Optimum an narzisstischer Befriedigung erfährt. Hierbei kommt er nun auch in Konkurrenz mit seinen Mitmenschen, die seinem Streben nach Befriedigung seiner narzisstischen Wünsche und seinem Luststreben Grenzen setzten. Dies ist nun die „Gewalt“, um die es hier geht.
Eigene Wünsche zu befriedigen, wird nicht nur als lustvoll erlebt, sondern hat auch stets einen Zusatz von Befriedigung, die von dem Gebrauchmachen von Freiheit ausgeht. Umgangssprachlich könnte man dies wohl als den „Spaßfaktor“ bezeichnen.
Was ist aber nun „Gewalt“? Als Gewalt erlebt das Individuum nicht nur, wenn es bei der Befriedigung seiner Wünsche nach Lust und narzisstischer Befriedigung auf Widerstand gerät, wenn es nicht machen kann, was es will, sondern natürlich besonders dann, wenn ein Mitmensch sein Luststreben auf meine Kosten befriedigt. Bei der Durchsetzung seiner Interessen kann der Mitmensch verschiedene Stufen der Gewalt anwenden. Diese Stufen der Gewaltanwendung gegen einen Mitmenschen sind im Strafgesetz definiert:
Bedrohung (oft verbunden mit Beleidigung), einfache körperliche Gewaltanwendung, aber auch Gewaltanwendung mittels eines Werkzeuges (Baseballschläger, Messer, Schusswaffe), das mehr oder weniger gefährlich ist.
Diese Art der Gewaltanwendung wird allgemein als „primitiv“ empfunden. Sie ist jedoch praktisch sehr effektiv, weil durch ihre Anwendung die körperliche Unversehrtheit und/oder das Leben des anderen in Gefahr ist, und auf jeden Fall Schmerzempfindung eintritt, die das Individuum in der Regel vermeiden will. Bei dieser Art der Gewaltanwendung setzt natürlich der Stärkere, der besser Bewaffnete oder der, dessen Clan größer ist und/oder rücksichtsloser ist, seine Wünsche durch.
Die zwischenmenschliche Gewaltanwendung hat jedoch auch andere Facetten, die subtiler, also nicht so primitiv sind.
Die subtile Form der Gewalt droht nicht, sondern führt auf andere Weise zur Durchsetzung der Interessen des Anwenders. Sie führt beim Opfer nicht direkt zu körperlichem Schmerz, sondern schädigt das Opfer auf andere Weise. Sie setzt bei dem Interesse des Opfers nach Selbstentfaltung an oder operiert mit der Zufügung seelischer Schmerzen.
Das Individuum hat das natürliche Interesse, möglichst viel Lust, Freude, Befriedigung und Spaß zu erleben. Das Zusammenleben der Menschen in unserer Gesellschaft basiert nun darauf, dass nicht jedes Individuum ständig nur derartige positive Gefühle haben kann. Die Mittel sind begrenzt, so dass jedes Individuum nur einen Teil des Gesamt“kuchens“ an Befriedigungsmöglichkeiten abbekommen kann. Einerseits reguliert sich dies dadurch, dass die Interessen unterschiedlich ausgeprägt sind, andererseits jedoch hat die Gesellschaft ein Mittel gefunden, das die Individuen zwingt, ihre Selbstentfaltungsinteressen wie die Philosophie lebender Systeme dies zusammenfassend nennt – sozusagen „freiwillig“ selbst zu begrenzen.
Dieses Mittel ist das Geld.
Fast jede Befriedigungsmöglichkeit kostet Geld oder ist mit einer finanziellen Investition verbunden. Selbst der eigentlich kostenlose „Sex“ kostet Geld, weil der Partner durch besondere Kostümierung, durch Protzen mit einem besonders teuren Auto, durch Einladungen usw. beeindruckt werden muss. Der Mensch hat sein Balzverhalten im Lauf der Evolution zu einer besonders kostenaufwändigen Veranstaltung ausgebaut.
Jedoch auch das einfache Überleben, die Nahrungsaufnahme, das essen und trinken, ist im gesellschaftlichen Zusammenhang von Geldbesitz abhängig geworden.
An sich ist nur noch die Sauerstoffaufnahme kostenlos. Dies wird sich bald ändern, wenn nämlich die Verunreinigung der Atmosphäre durch Abgase mit einer besonderen Abgabe an den Staat bestraft wird. Diese für das Überleben der Menschheit erforderliche Maßnahme wird unweigerlich demnächst durchgeführt werden müssen.
Kurz gesagt: subtile Mittel der Durchsetzung von Eigeninteressen bestehen in der Zufügung seelischer Schmerzen (Beleidigung, Herabwürdigung, übler Nachrede usw.), also in der Zufügung narzisstischer Kränkung und der Herbeiführung finanzieller Nachteile. Letzteres Mittel wendet der Staat umfangreich an, indem er nicht erwünschtes Verhalten mit Geldstrafen sanktioniert. Geldstrafen haben sich offensichtlich als sehr sinnvoll zur Gegensteuerung normabweichenden Verhaltens erwiesen, sind oftmals effektiver als Freiheitsstrafen.
Nachdem „Gewalt“ definiert ist, sehen wir uns einmal die Schule und die Computerspiele hinsichtlich ihrer Gewaltausübung an.
3. Bewegungsfreiheit in Schule und in Computerspielen
3.1. Die Bewegungsfreiheit in der Schule
Das Erringen der Freiheitsrechte des Individuums, das sich in der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung und der französischen Revolution bereits Ende des 18. Jahrhunderts manifestierte, wird allgemein als eine große Errungenschaft dargestellt. Die Freiheitsrechte sind auch im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, Artikel 2, verankert, wo es in Absatz 1 heißt: „Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, ...“ und in Absatz 2: „... Die Freiheit der Person ist unverletzlich. ...“
Sieht man sich die Umsetzung der Freiheitsrechte in der Schule an, ist die Einschränkung der Freiheit des Kindes, die durch die Schulpflicht vorgenommen wird, augenfällig.
Bis zum Schuleintritt ist das Kind in der Regel mit unbedeutenden Einschränkungen frei, alles tun zu können, was ihm Spaß macht. Nunmehr muss es pünktlich zum Unterricht erscheinen, muss jeweils 45 Minuten möglichst still sitzen und nur sprechen, wenn es dazu aufgefordert wird. Dies mit steigender Zeitdauer, anfangs vielleicht etwa 4-5 Stunden am Tag, später, in der Oberschule, 6-7 Schulstunden pro Tag. In den ersten Schuljahren wird noch etwas Rücksicht auf den normalen Bewegungsdrang der Kinder genommen, grundsätzlich bleibt jedoch eine erzwungene Beherrschung der Lust an Bewegung. Herumtoben darf das Kind nur in den Pausen.
Diese Erfahrung, dass Schulbesuch eine freiheitseinschränkende Maßnahme ist, haben alle Erwachsenen hinter sich. Diese Einschränkung der Bewegungsfreiheit ist offensichtlich objektiv so notwendig, dass sie nicht hinterfragt wird. Jeder Mensch in Deutschland musste sich daran gewöhnen, und daher wird sie quasi als „naturnotwendig“ anerkannt, obwohl sie tatsächlich die Folge einer freien Entscheidung der Erwachsenen ist. Über Alternativen, Kinder später einzuschulen, weil der Bewegungsdrang mit steigendem Alter geringer wird, oder den Unterricht in beweglicher Form durchzuführen, oder die Pausen zu verlängern, wird inzwischen gar nicht mehr nachgedacht. Im Gegenteil: seit Kurzem können Kinder in Berlin beispielsweise bereits mit 5 Jahren eingeschult werden. Nachgedacht wird nur darüber, wie man die Kinder noch früher in das Berufsleben entlassen kann. Angesichts des Mangels an Ausbildungs- und Arbeitsplätzen ist das zwar nicht nachvollziehbar, aber offensichtlich ist die Sanierung der Rentenkasse das dringendere Problem. Die Kinder sollen nicht entlastet werden, sondern es besteht ein Druck in die Richtung, den Lebensunterhalt der Alten finanzieren zu müssen. Deshalb muss die Schule schneller durchlaufen werden, so dass sich der Lerndruck auf die Kinder erhöht. Sie müssen schneller und mehr lernen als früher.
Rein rechnerisch sind derartige Überlegungen zwar richtig oder logisch, es wird jedoch „vergessen“, dass die Gesellschaft damit nicht nur den Leistungsdruck auf die Kinder erhöht, sondern auch den Zeitdruck und damit die Freiheitseinschränkung (mehr Lernstunden pro Woche) erhöht.
Wie oben ausgeführt, empfindet das Individuum jegliche Einschränkung seiner Freiheit, also auch seiner Bewegungsfreiheit, als einen Zwang. Abgesehen davon ist eine derartige Einschränkung der Bewegungsfreiheit auch objektiv eine Art der Gewaltanwendung, die man den subtilen Formen der Gewaltanwendungen zuordnen kann.
Ich möchte noch einen Moment bei der Einschränkung des Freiheits- bzw. Bewegungsdrangs der Kinder bleiben. Die Anforderungen, die diesbezüglich von der Schule gestellt werden, wirken sich natürlich zuerst und am gravierendsten bei den Kindern aus, die einen besonders starken Bewegungsdrang haben.
Die Auswirkungen dieser freiheitseinschränkenden Anforderung nach Stillsitzen sind daher bereits seit Jahren in den Praxen von Kinderärzten, Kinderpsychiatern usw. zu spüren, die ständig steigende Fallzahlen von ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit mit Hypermotorik) vermelden. Die Kinder, denen es schwer fällt, still zu sitzen, werden nicht nur von den Lehrern diszipliniert und für ihr Verhalten moralisch bestraft – Körperstrafen wurden abgeschafft , sondern als medizinische Behandlungsfälle betrachtet (was man als „Labelling“ bezeichnen könnte) und mit Methylphenidat (Ritalin, Medikinet u.a. Präparate) medikamentös behandelt. Am Anstieg der Verordnung dieser Medikamente ist ablesbar, in welchem Ausmaß die Gesellschaft den Druck auf die Kinder erhöht und die Einschränkung der Bewegungsfreiheit mit Medikamenteneinsatz unterstützt. Von 1992 bis 2002 hat sich der Verbrauch dieses Medikaments verdreißigfacht (Fritze, Schmauß http://www.dgppn.de/stellungnahmen/2003/pdf/Off-Label-Use-Methylphenidat.pdf ). 1990 lag die Zahl der damit behandelten Kinder noch bei 1500, heute beläuft sie sich nach Schätzungen der deutschen Gesellschaft für Sozialpädiatrie und Jugendmedizin auf 50000 bis 100000. (http://dip.bundestag.de/btd/16/030/1603045.pdf). Diese Verordnung eines Medikamentes zur Reduzierung des Bewegungsdrangs ist ein objektiver Maßstab für den Entzug von Freiheit (verstanden als Bewegungsfreiheit), den die Gesellschaft ihren Kindern zumutet. Würde es sich um inhaftierte Straftäter anstatt um Kinder handeln, die mit Medikamenteneinsatz beruhigt werden würden, würde wahrscheinlich ein Sturm der Entrüstung mit dem Tenor erschallen, dass dies eine die Menschenwürde verletzende Maßnahme wäre. Es würden sich vermutlich umgehend Rechtsanwälte finden, die hiergegen gerichtlich vorgehen würden. Bei unseren Kindern geschieht derartiges nicht, weil die Eltern und der Rest der Gesellschaft diese Maßnahme offensichtlich unterstützt und die Lehrer als Ausführungsgehilfen dieses Öffentlichen Wunsches auch nicht dagegen zu opponieren wagen. Lehrer, die dies täten, müssten um ihre Stelle fürchten.
Offensichtlich liegt es im Öffentlichen Interesse, unsere Kinder möglichst frühzeitig zu einer Unterdrückung ihres Bewegungsdrangs zu erziehen, und wenn die pädagogischen Möglichkeiten zu diesen freiheitseinschränkenden schulischen Maßnahmen nicht ausreichen, dies auch mit medizinischen Maßnahmen zu unterstützen. Dies alles selbstverständlich mit dem Bewusstsein, nur das Wohl unserer Kinder im Auge zu haben. Diese Art der Gewaltanwendung kann aus Sicht der Philosophie lebender Systeme als besonders subtil eingeordnet werden, weil den Betroffenen (den Kindern) gegenüber nicht nur verschwiegen wird, dass es sich hierbei um Gewaltanwendung handelt, sondern selbst die Täter verleugnen ihre Gewaltanwendung, indem nicht nur den Opfern gegenüber, sondern auch vor sich selbst diese Gewalt als das Gegenteil hinstellen, was sie ist: die Freiheitseinschränkung wird als Wohltat hingestellt. Man wolle nur das beste für die Kinder. Es solle einmal etwas aus ihnen werden usw..
Es wird nicht nur objektiv die Freiheit der Kinder eingeschränkt, sondern die sollen diese Gewalt, deren Opfer sie sind, auch nicht bemerken (siehe das bekannte Buch von Alice Miller: „Du sollst nicht merken“), sie werden also zusätzlich noch „verdummt“, nämlich zur Realitätsverleugnung erzogen. Dieser Akt der kollektiven Verleugnung der Realität ist also das zweite Faktum, das neben der Gewaltanwendung, die in der Einschränkung der Bewegungsfreiheit liegt, als bemerkenswert im Vergleich von Schule und Computerspiel festgehalten werden sollte.
Dass durch eine Einschränkung der Bewegungsfreiheit aggressive Regungen ausgelöst werden, ist in der psychologischen Fachliteratur hinreichend bekannt (z.B. Frustrations-Aggressionstheorie von Dollard), so dass ich es nicht weiter begründen muss. Auch die Verhaltensbeobachtung an Tieren lehrt eine Zunahme aggressiven Verhaltens bei zunehmender räumlicher Enge. Andere Theorien sehen aggressives Verhalten als natürliches Verhalten an, das einen biologischen Sinn erfüllt (Selbsterhaltung), Sigmund Freud postuliert sogar einen Aggressionstrieb. Dies bedeutet, dass das Kind auch irgendwann und irgendwo den Umgang mit diesen Verhaltensweisen üben muss und Verhaltensbereiche benötigt, in denen es aggressiv sein darf. Dafür käme rein zeitlich dann die „Freizeit“ der Kinder in Betracht. Dazu wäre zu sagen, dass die täglich sehr lange Schulzeit und die zusätzlichen Hausaufgaben selbstverständlich die „Freizeit“ einschränken. In dieser geringer werdenden Freizeit soll sich das Schulkind nicht nur erholen, sondern es ist die übrig gebliebene Zeit, die das Kind zur Realisierung seiner Wünsche zur Verfügung hat. Die Freiheit, nämlich die Möglichkeit, das zu tun, was einem Spaß macht, sich Wünsche zu erfüllen und etwas zur Entfaltung der persönlichen Fähigkeiten und Interessen zu tun, wird durch die Schule immer mehr eingeschränkt und damit auch die Zeit, in der das Kind einen adäquaten Umgang mit seinen aggressiven Regungen außerhalb der Schule üben könnte.
3.2. Die Bewegungsfreiheit im Computerspiel
Zum Spielen bleibt den Kindern die Zeit, die ihnen die Schule durch den Schulbesuch und die Erledigung der Hausaufgaben lässt. Aus dem Vorgesagten (Kap. 3.1.) ergibt sich bereits, dass die Schule den Bewegungsdrang der Kinder einschränkt, so dass für die Befriedigung des Bewegungsdrangs die „Freizeit“ bleibt. Diese Zeit nutzen die „modernen“ Kinder nun zum Teil, indem sie Computerspiele machen, zum Teil für andere Zwecke, die hier nicht betrachtet werden.
Im Vergleich mit den Anforderungen der Schule nach Stillsitzen und Konzentration fällt zunächst auf, dass das Computerspiel die gleichen Anforderungen hat. Äußerlich unterscheidet es sich also gar nicht: auch hier muss das Kind still sitzen und sich auf etwas konzentrieren. Insofern setzen sich die Anforderungen der Schule hier scheinbar fort, so dass es für den neutralen Beobachter zunächst überaus erstaunlich ist, dass die computerspielenden Kinder in der Freizeit das, was sie vorher gezwungenermaßen tun mussten, in ihrer Freizeit freiwillig fortsetzen. Denn an sich würde man annehmen, dass in dieser Zeit die Befriedigung des Bewegungsdrangs und anderer (z.B. je nach Alter auch sexueller) Bedürfnisse Priorität hätte. Die Bedürfnisse der Kinder sind ja sehr altersabhängig. Zum Zeitpunkt der Einschulung steht die Befriedigung des Spieldrangs, der Neugier und des Bewegungsdrangs im Vordergrund, später kommen sexuelle Bedürfnisse hinzu, die selbstverständlich auch während der Unterrichtsbetriebs der Schule, hoffentlich vorzugsweise in den Pausen, befriedigt werden.
Ich untersuche jedoch hier eine bestimmte Art der Freizeitbeschäftigung der Schüler (und Schülerinnen, die in der Regel andere Beschäftigungsarten vorziehen), das Spielen am Computer, und möchte den Schwerpunkt auf die sogenannten „Gewaltspiele“ („Ego-Shooter-Spiele“) legen.
Um zu erklären, warum besonders solche Kinder, die in der Schule durch „Unaufmerksamkeit“ und Hypermotorik auffallen, in ihrer Freizeit still am Computer sitzen und derartige „Spiele“ spielen, muss man sich das genauer anschauen, was als ADS (Aufmerksamkeitsdefizit-Syndrom, eventuell auch ADHS, wobei H für Hypermotorik steht) bezeichnet wird. Es handelt sich hierbei nicht um eine Krankheit im medizinischen Sinn, sondern um eine andere Art der Aufmerksamkeit. Die Aufmerksamkeit ist hier nicht auf einen Punkt gerichtet (auf den Lehrer), sondern sie ist gleichmäßig über das Blickfeld verteilt, so dass auch Vorgänge registriert werden, die in der Peripherie (optisch) und auch hinter dem Betreffenden (akustisch) gerichtet ist. Der Betreffende registriert also nicht nur das, was vor ihm passiert (den Lehrer), sondern alles, was um ihn herum passiert, also auch das, was die Mitschüler tun (optisch) und sagen (akustisch). Es handelt sich also um eine besonders umfangreiche Wahrnehmung, die, betrachtet man als Beobachter (als Lehrer) den Blick des Betreffenden, so aussieht, als ob dieser (der Schüler) ins Leere schaut. Tatsächlich jedoch nimmt der Schüler mehr wahr als das, was der Lehrer sagt. Unsere Wahrnehmung hat sich evolutionär entwickelt (siehe evolutionäre Erkenntnistheorie), und es kann ein Überlebensvorteil sein, seine Aufmerksamkeit nicht nur auf einen Punkt zu richten, sondern zum Beispiel auch Fressfeinde (akustisch) zu registrieren. Die sich von hinten nähern oder von der Seite (optisch), oder auch Beutetiere nicht nur dann zu orten, wenn sie sich direkt vor einem befinden. Auch in bestimmten Computerspielen ist diese Art der Aufmerksamkeit von Vorteil, nämlich dann, wenn auf dem Bildschirm „Feinde“ nicht nur direkt vor dem Spieler auftauchen, sondern plötzlich aus seitlichen Verstecken hervorkommen. Der sogenannte ADS-Mensch hatte also nicht nur sozusagen in der Steinzeit einen Überlebensvorteil, sondern auch in bestimmten Computerspielen. Deshalb sitzen die so begabten Schüler bei derartigen Spielen auch ganz ruhig vor dem Monitor ihres Computers, weil das Spiel ihre umfassende Art der Aufmerksamkeit belohnt und auch keine Nebengeräusche von Mitschülern vorhanden sind, die sich im Schulunterricht miteinander unterhalten, anstatt dem Lehrer zuzuhören. Diese „Ablenkung“ der Aufmerksamkeit fällt am Computer weg, so dass die Kinder und Jugendlichen, die im Unterricht durch Unruhe und Hypermotorik auffallen, hier ohne Medikamentenverabreichung ganz ruhig sitzen.
Neben der schon erwähnten gleichen Anforderung an ruhiges Sitzen sind auch Unterschiede zwischen Schule und Computerspiel auffällig. Die bevorzugten Computerspiele sind so aufgebaut, dass der Spieler in Computer eine bestimmte Person bewegt, gelegentlich auch einer Mannschaft Aktionen befiehlt, also deren Motorik steuert. Es geht dabei grundsätzlich auch um die Befriedigung des Bewegungsdrangs, allerdings werden die Bewegungen nicht vom Spieler selbst ausgeführt, der lediglich geringfügige Bewegungen der Hand und eines Fingers vollzieht, sondern von einer virtuellen menschenähnlichen Person, mit der sich der Spieler identifiziert. Je nach Spiel hat der Spieler auch die Möglichkeit, sich das Äußere dieses „Stellvertreters“ auszusuchen und diesen mit bestimmten Fähigkeiten auszustatten (z.B. Wahl der Waffen, bestimmter Eigenschaften usw.), wobei diese entsprechend den realen Fähigkeiten des Spielers ausgesucht werden können, oder aber den Wünschen des Spielers entsprechen können. Der Spieler kann seinen virtuellen „Stellvertreter“ auch mit den Eigenschaften ausstatten, die er selbst in der Realität gern haben würde. Diese Wunschbefriedigung macht einen Teil des Reizes dieser Spiele aus. Der Schüler kann im Spiel der Held sein, der er im Leben gern sein würde.
Hier geht es um den Bewegungsdrang. Dieser wird im Computerspiel nicht real befriedigt. Aber es findet eine stellvertretende Befriedigung (eine Ersatzbefriedigung) statt: der Spieler kann eine Person entsprechend seinen Wünschen bewegen. Er kann diesen durch virtuelle Räume oder Welten bewegen, und kann damit auch seine Neugier befriedigen. Aber offensichtlich stellt auch diese virtuelle Befriedigung des Bewegungsdrangs und das Auskosten der virtuellen Bewegungsfreiheit eine psychische Befriedigung dar, die auch ohne reale Muskelbewegungen vorhanden ist. Wahrscheinlich wird dieses Befriedigungserleben durch die Ausschüttung bestimmter Transmitter oder „Glückshormone“ (z.B. Endorphine) vermittelt, also real erlebt. Freud betrachtete schon seinerzeit, als er seine Vorstellung von der realen Kastrationsdrohung verwarf aber die Kastrationsdrohung als Grundbedingung für die Entstehung von Neurosen beibehielt, die „psychische Realität“ als das Entscheidende.
Entscheidend für das Erleben und das Glückserleben ist die Hirnchemie und nicht das reale Verhalten, das im Vorcomputerzeitalter der „natürliche“ Weg zur Herbeiführung der hirnchemischen Veränderungen war. Heute können ähnliche Hirnveränderungen, die mit Glücksgefühlen verbunden sind, durch Computerspiele, durch Genuss legaler oder illegaler chemischer Substanzen oder andere Methoden herbeigeführt werden.
Die Lernmethoden der Schule sind im Grunde dieselben wie zu Kaisers Zeiten, aber die Befriedigungsmöglichkeiten der Neuzeit sind andere geworden. Das führt zu Spannungen.
Kommen wir nun zu einem weiteren Punkt, nämlich den Auslösefaktoren, die möglicherweise zu aggressiven Regungen beim Schulkind führen könnten.
4. Der Umgang mit narzisstischer Bedürfnisbefriedigung der Kinder
Art. 1 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland besagt in Absatz 1: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“
4.1. Narzisstische Befriedigung im staatlichen Schulsystem
Die Schule unterwirft das Kind einem Leistungsdruck, der von der Gesellschaft erwünscht ist und direkt von den pädagogisch ausgebildeten Lehrern auf die Schulkinder ausgeübt wird. Der Lehrer ist derjenige, der die Forderungen der Gesellschaft ausführt. Dafür wird er bezahlt.
Auch hier wird bisweilen in den ersten Schulklassen Rücksicht genommen und auf Notengebung verzichtet. Das Kind hat auch einen natürlichen Wunsch zu konkurrieren und möchte wissen, wie gut es ist. Es hat ein natürliches Verlangen nach narzisstischer Bestätigung und möchte gelobt werden.
Deshalb bewertet das deutsche Schulsystem die Leistungen des Kindes mittels Noten zwischen 1 und 6, wobei die 1 die beste Note ist. Auch diesem System waren die jetzigen Erwachsenen in ihrer Kindheit unterworfen und haben es quasi als „normal“ verinnerlicht. Tatsächlich ist auch dieses Bewertungssystem nicht natürlich, sondern künstlich geschaffen, und hat den Zweck, die Kinder zu selektieren, zu „ranken“, wie man auf „Neudeutsch“ sagen könnte. Es soll mit einfachen Mitteln eine Rangliste darüber hergestellt werden, welche Kinder „besser“ und welche „schlechter“ sind, die „Spreu“ soll von „Weizen“ getrennt werden. Die Grundschule muss Entscheidungen darüber treffen, welches Kind eine Gymnasialempfehlung bekommt; das Gymnasium übernimmt die Aufgabe zu entscheiden, welche Kinder für ein Studium mit Zulassungsbeschränkung geeignet sind, mancherorten wird für die Zulassung zum Medizinstudium beispielweise bereits ein Notendurchschnitt von 1,1 verlangt.
Der Druck auf die Kinder wird von oben nach unten weitergegeben. Auch hier ist die Schule das ausführende Organ, das den Leistungsdruck der Gesellschaft an die Kinder weiterreicht. Der Lehrer gibt den Druck, der von der Gesellschaft gewollt ist, direkt an die Kinder weiter. Auch dieser Druck kann Aggressivität erzeugen, so dass der Lehrer derjenige ist, der die reaktive Aggressivität des Schülers unmittelbar zu spüren bekommt.
Die Bewertung von Schülerleistungen mittels Noten wird selbst von Pädagogen nicht als sehr geistreich angesehen. Dennoch wird dieses fragwürdige Bewertungssystem bisher beibehalten. Obwohl sie den gewünschten Zweck nicht erfüllen, werden Noten nicht nur in Deutschland weiterhin erteilt. Dr. A. Brühlmeier schreibt: „Wer sich in der reichhaltigen wissenschaftlichen Literatur über das Problem der Beurteilung und Bewertung von Schülerleistungen umsieht, stellt ... fest, dass die Schulnoten den Anspruch, klar definierte Schülerleistungen zu messen, nicht erfüllen können. Es kann verhältnismäßig leicht nachgewiesen werden, dass Noten nicht objektiv, nicht zuverlässig und nicht gültig sind. Um dem Schüler Klarheit über seinen Leistungsstand zu verschaffen, braucht es indessen die Note gar nicht. Bei näherem Zusehen zeigt sich, dass sie für die Diagnose des Leistungsstandes der Schüler, für prognostische Aussagen, für Evaluation und Planung des Unterrichts sowie für die Beratung unnötig sind.“ (http://www.bruehlmeier.info/noten_1.htm -Hervorhebung vom Autor)
Außerdem hat es „Nebenwirkungen“ (nicht erwünschte Wirkungen). D. K. Nachtigall, Lehrstuhl für Didaktik der Physik, Universität Dortmund, beklagt: „Zum Zwecke des Bestehens von Prüfungen und des Erlangens von akzeptablen Zensuren erhält Memorieren Priorität vor Verstehen und Einsicht und die Schüler werden zu passiven Informationsempfängern degradiert.“ (http://209.85.135.104/search?q=cache:VM9-8lT8wzoJ:pluslucis.univie.ac.at/Artikel/nachtiga.pdf+zensuren+menschlichkeit&hl=de&gl=de&ct=clnk&cd =3&lr=lang_de &client=firefox-a). Und weiter: „Lehren und Lernen ist ein zu initiierender Wechselwirkungsvorgang. Wenn er scheitert, hat, ungerechterweise, der Schüler allein die Folgen zu tragen.“ Und, hier bezogen auf den Physikunterricht: „Viele Lehrer versuchen es mit Zwang, d.h. mit der sogenannten Zensurenkeule. Die Zensur 'ungenügend' ist ein viel angewendetes Machtmittel des Lehrers, mit dem er das gescheiterte Interaktionsexperiment 'Lehrer und Schüler sollen Physik treiben' beendet.“
Bekannt ist selbstverständlich auch, dass Zensuren nicht nur die Leistung ermitteln sollen, sondern die Funktion der Auslese haben. Steigt also der Leistungsdurchschnitt, so werden die Zensuren kurzerhand verschärft, um dieser Auslesefunktion gerecht zu werden. Nachprüfbar ist das selbstverständlich nur bei schriftlichen „Lernerfolgskontrollen“. Witte: „Andererseits wissen alle, dass aufgrund der verordneten oder gewohnheitsmäßigen Ausrichtung der Notendurchschnitte etwa 70 % der Schüler von guten und sehr guten Noten statistisch ausgeschlossen sein müssen.“ (Karl-Heinz Witte, Individualpsychologische Aspekte der Lehrerangst, http://www.khwitte.de/Aufs-Texte/Lehrerangst.htm). Der Notenschnitt wird so festgelegt, dass die durchschnittliche Leistung etwa mit Note 4 bewertet wird. Wenn es keine fünfen und sechsen gibt, hat der Lehrer versagt und eine zu leichte Arbeit geschrieben. Der Lehrer wird also vom Schulsystem unter den Druck gesetzt, immer einen Teil der Kinder mit schlechten Noten bestrafen zu müssen, obwohl ihm als Pädagogen klar ist, dass dies zu Frustration und Demotivierung beim Kind führt. Daran leidet auch mach ein Lehrer, der dann von seinen Kollegen als zu „sensibel“ angesehen wird und sich dieser Benotungsaufgabe durch Krankheit entzieht. Lehrer, die „durchhalten“, reagieren bisweilen überhart. Prof. Dr. Kurt Singer ist einer der wenigen, die sich mit dem Phänomen Gewalt auseinandersetzt. Er schreibt: „Heute wird viel von Gewalt in der Schule gesprochen. Dabei denken die meisten nur an Aggressivität, die von gewalttätigen Schülern ausgeht. Das überrascht; denn Jugendliche sagen, sie seien öfter gewalttätigem Lehrerverhalten ausgesetzt als gewaltbereiten Mitschülern. Auch Erwachsene erzählen weniger über aggressive Klassenkameraden als über aggressive Lehrer, unter denen sie litten. ... Tatsächlich lernen die Schüler etwas, nämlich: Wie man Schwache rücksichtslos bloß stellt und noch mehr schwächt, sie lernen den Deutschunterricht fürchten, sie lernen, ohnmächtig zu sein gegenüber dem Macht-Missbrauch der Lehrerin; denn auch die Schulleiterin und der Verbindungslehrer „wollen sich nicht in den Unterricht einmischen.“... Die unachtsame Art, in der manche Lehrer mit Kindern umgehen, beschädigt deren Lernbereitschaft. Oft schildern sie [die Kinder] verzweifelt, wie hilflos sie gegenüber kränkenden Lehrern sind. Diese stellen Schüler mit missglückten Arbeiten bloß, lachen sie aus und machen sie verächtlich, lassen sie an Prüfungsaufgaben „hängen“, bedrohen und disziplinieren sie mit schlechten Noten.“ (http://www.prof-kurt-singer.de/artikel11.htm)
Natürlich ist es verboten, Schulnoten zur Disziplinierung von Kindern zu gebrauchen, dennoch ist dies gängige Praxis. Der Lehrer fühlt sich subjektiv in einer Verteidigungsposition und weiß sich nicht anders zu helfen. Beispielsweise wird die Nichtanfertigen der Hausaufgaben dann als bewusste Opposition interpretiert, als Arbeitsverweigerung, so dass eine 6 gegeben wird, selbst wenn der Schüler es schlicht und einfach vergessen hat, die Hausaufgabe anzufertigen.
Die Schule verteidigt das Fehlverhalten seiner Lehrer sogar dann, wenn es rechtswidrig ist und bestraft wurde. „Davids Eltern nahmen nicht hin, dass ein Grundschullehrer das Selbstwertgefühl ihres Kindes verwundete. Der Lehrer verspottete den Schüler und gab ihn dem Gelächter der Klasse preis...Richterin und Richter des Landgerichts ... ahndeten das ehrverletzende Verhalten mit einem Schmerzensgeld von 1.600 Mark und 645 Mark Schadenersatz. ... »Vater Staat« sorgt für seine gehorsamen Diener auch dann, wenn sie seelische Gewalt praktizieren und damit gegen das Gesetz verstoßen. Der verurteilte Lehrer fügte dem Kind fahrlässig Schmerz zu; das Schmerzensgeld aber zahlte das Land....Die Kränkung ist Lehrern ministeriell verordnet.“ (http://www.prof-kurt-singer.de/artikel4.htm)
Der Schutz der Würde des Menschen obliegt vor allem den Behörden des Staates und besteht vor allem in dem Gebot, das Individuum nicht als Objekt zu behandeln. Dies wird die Objektformel zur Ausgestaltung des Gebots, die Würde des Menschen zu achten, genannt. Sie lautet: "Die Menschenwürde ist getroffen, wenn der konkrete Mensch zum Objekt,... herabgewürdigt wird." (http://de.wikipedia.org/wiki/Objektformel)
Den Lehrern und den Schülern scheint dies nicht bekannt zu sein. Und Wissenschaftlern ebenfalls nicht. Die Schüler sind als Kinder hilflos und offenbar nicht in der Lage, die Missachtung ihrer Menschenwürde, die regelmäßig mit der Notengebung beginnt, aktiv zu beklagen. In Umfragen ist wohl den Schülern noch nie die Frage vorgelegt worden, ob sie sich schon einmal durch eine Notengebung gekränkt und in ihrer Menschenwürde verletzt gefühlt haben. Vermutlich werden die Pädagogen eine Kränkung sogar für erforderlich halten und mit dem Argument rechtfertigen, der Schüler müsse schließlich durch Kränkungen zu Leistung motiviert werden. Andere Möglichkeiten würden nicht bestehen. Seltsamerweise wird die Möglichkeit, den Schüler durch Lob zu mehr Leistung zu motivieren, praktisch nicht genutzt. Dies ganz im Gegensatz zu Computerspielen, deren Prinzip geradezu in der Belohnung des erwünschten Verhaltens besteht.
Verhaltensrückkopplung kann auf zweierlei Weise stattfinden, nämlich durch Belohnung des erwünschten Verhaltens und durch Bestrafung („negatives Feedback“) des unerwünschten Verhaltens. Wird eine gesellschaftliche Übereinkunft, z.B. dass man ß in kurzen Silben mit ss schreibt und nicht mit ß (oder zu anderen Zeiten die gegenteilige Übereinkunft) vom Schüler nicht eingehalten, wird er durch einen Punktabzug bestraft, der dazu führen soll, das nächste mal die übliche Schreibweise anzuwenden. Derartige Fälle sind kein Problem.
Problematisch ist jedoch eine positive Rückkopplung des Gemaßregelten im nicht erwünschter Richtung. Also: der Schüler wird diszipliniert (bekommt für Fehler eine schlechte Note), reagiert jedoch nicht wie gewünscht, sondern mit einer Verstärkung des unerwünschten Verhaltens. Beispiel: der Schüler macht im Deutschdiktat einen Fehler und wird mit der Note 2 bestraft. Das demotiviert ihn, so dass er in der nächsten Arbeit 3 Fehler macht. Daraufhin wird er mit der Note 2- bestraft. Erneut ist er enttäuscht über die Zensur, gibt sich weniger Mühe, da sich die Mühe nicht lohnt. In der nächsten Arbeit macht er noch mehr Fehler und erhält eine 3. Er interessiert sich nun nicht mehr für das Fach, sondern für andere Fächer, in denen er bessere Noten erhält, seine Fehlerzahl in Deutsch nimmt weiter zu und die Note wird schlechter. Schließlich vollzieht er eine „innere Kündigung“ und tut für das Fach gar nichts mehr und landet bei der Note 6. Derartige gegenseitige negative Verstärkungsmechanismen sind wahrscheinlich häufiger als man denkt. Ausgangspunkt ist die unzutreffende Vermutung des Lehrers, den Schüler durch eine schlechte Zensur zu besserer Leistung zu motivieren. Das Gegenteil ist häufig der Fall. Die falsche Vermutung des Lehrers wird jedoch gesellschaftlich geteilt. Die anderen Lehrer, der Direktor, selbst die Eltern sind machtlos dagegen: ein Fehler ist ein „objektives“ Zeichen für die Unfähigkeit des Schülers. Der Lehrer muss eine schlechte Zensur geben, die schlechte Zensur und ihre immer weitere Verschlechterung wird quasi zum naturgesetzlichen Zwang. Aus diesem Teufelskreis gibt es kein entrinnen.
Theoretisch könnte der Schüler auf ein anderes Schulfach ausweichen, in dem er Erfolg hat. Aber der Teufelskreis ist nicht in der mangelnden Leistung des Schülers begründet, sondern er liegt im Schulsystem, das kein Lob kennt, und im Empfinden des Schülers, dass seine Leistung nicht ausreichend gewürdigt wird, bzw. im Kränkungserleben des Schülers.
Das Benotungssystem der Schule wird nämlich strukturell besonders bei kleineren Kindern als Bestrafungssystem angewandt, was an sich gar nicht nötig wäre. In den unteren Klassen wird nämlich die Note 1 (sehr gut) oft nur für perfekte Leistungen gegeben. Schon bei einem Fehler wird bestraft, z.B. mit einer 1- oder einer 2. Das führt dazu, dass die zur Verfügung stehenden 6 Noten nicht gleichmäßig auf die Leistungen verteilt werden – dann läge der Schüler mit einer Leistung von 50% der erreichbaren Punkte genau zwischen den Noten 3 und 4 -, sondern bei Verwendung der Note 1 nur für die fehlerfreie Leistung, bleiben für die Bewertung der schlechteren Leistungen nur noch 5 Noten übrig (2 bis 6), so dass der Schnitt (50% richtige Leistung) fast glatt bei der Note 4 liegt. Im Prinzip werden dadurch alle Schüler enttäuscht, die die Prozentrechnung beherrschen. Um auf die Note 4 zu kommen, genügen dann nämlich nicht mehr 1 Punkt mehr als 1/3 der erreichbaren Punkte. Diese Art der Notenvergabe muss vom Schüler als ungerecht empfunden werden.
Die Benotung mündlicher Leistungen ist immer problematisch, deshalb werden gern schriftliche Lernerfolgskontrollen durchgeführt, die dann als „objektiver“ Beleg für die Leistungsbeurteilung herangezogen werden. Diese haben jedoch einen weiteren Haken, den die Schule nicht wahr haben möchte. Es wird beispielsweise eine Arbeit geschrieben mit 9 Aufgaben, die jeweils 10 Punkte bringen. Über den Schwierigkeitsgrad der Aufgaben macht sich der Lehrer Gedanken, denn dieser ist nachprüfbar. Die Anzahl der Aufgaben wird jedoch nach Gefühl festgelegt. Über die Frage, welchen Zeitaufwand der durchschnittliche Schüler zur Beantwortung der einzelnen Fragen benötigt, macht sich kein Lehrer Gedanken, jedenfalls wird der vermutete Zeitaufwand für die Beantwortung einzelner Fragen nicht angegeben. Dabei ist dieser Zeitaufwand deshalb ein tatsächliches Problem, weil jeder Mensch, natürlich auch jedes Kind, seine individuelle Arbeitsgeschwindigkeit hat. Dieses Problem wird völlig übergangen. Die Schule setzt ohne Überlegung irgendeinen Zeitaufwand willkürlich voraus und selektiert die Leistung der Schüler nach Arbeitsgeschwindigkeit. Der schnellarbeitende Schüler hat dann sozusagen mehr Zeit zur Verfügung und der langsam arbeitende Schüler schafft die Beantwortung der Fragen nicht innerhalb der zur Verfügung gestellten Zeit. Das ist natürlich für die Schule kein Problem, weil diese ihrer Aufgabe, die Schüler zu selektieren, nachkommt. Ob die Schüler nach Leistung oder nach Arbeitsgeschwindigkeit selektiert werden, spielt dabei keine Rolle. Es müssen Zensuren ermittelt werden, und das wird gemacht. Sind also die Noten einer Schulklasse besser als der zur Selektion erforderliche Schnitt, so kann also auch durch die Erhöhung der Anzahl der Fragen der Notendurchschnitt angepasst werden. Denn die nicht beantworteten Fragen bringen keine Punkte. Da die Note aufgrund der erreichten Punktzahl ermittelt wird, spielt es gar keine Rolle, ob der Schüler die Antworten nicht weiß oder ob er nicht genügend Zeit zur Beantwortung hatte. Das Benotungssystem der Schule unterscheidet dies nicht. Es setzt damit Leistungsschwäche und Langsamkeit gleich.
Folge ist nicht nur, dass langsam arbeitende Schüler benachteiligt werden, sondern auch, dass der Schüler darauf trainiert wird, möglichst schnelle Antworten zu repetieren, anstatt nachzudenken. Das „objektive“ Benotungssystem der Schule belohnt also Auswendiglernen und schnelles Nachplappern, es produziert Papageien.
Und dies ohne äußere Notwendigkeit, sondern nur wegen des Effekts, nachfolgenden Einrichtungen die Arbeit zu erleichtern.
Würde die Schule keine Noten erteilen, hätten die zukünftigen Lehrbetriebe oder Universitäten die schwierige Aufgabe, die Eignung der Bewerber feststellen zu müssen. Dies wäre ein erheblicher Aufwand. Die Schule erspart also den Nachfolge-Ausbildungseinrichtungen einen erheblichen Aufwand. Sie selbst profitiert in keiner Weise von der Notengebung, sondern macht sich durch die Notengebung Arbeit. Der Lehrer übernimmt also mit der Notengebung eine Aufgabe, die andere Einrichtungen von Arbeit und Aufwand entlastet, und hat selbst nur erhebliche Nachteile, nämlich Arbeitsaufwand und Ärger, den er sich einheimst.
Der Schüler hingegen leidet unter dieser überflüssigen Notengebung. Er muss bereits als Kind erhebliche Kränkungen „verdauen“, Frustrationen ertragen und muss sich in einer Weise behandeln lassen, die man Erwachsenen nicht zumutet. In ein Notenschema eingeordnet zu werden ist grundsätzlich eine menschenunwürdige, eine entwürdigende Behandlung, eine seelische Misshandlung. Diese Art der Kindesmisshandlung ist seltsamerweise gesellschaftlich geduldet, obwohl jeder Erwachsene einmal Opfer dieser menschenverachtenden Behandlung war – oder gerade weil er es war?
Artikel 5 unseres Grundgesetzes sagt in Absatz 1: „ ... Eine Zensur findet nicht statt.“ Auch dies scheint nicht für Schüler zu gelten. Was der Schüler sagt, wird zensiert. Seine Äußerungen werden nicht als freie Meinungsäußerungen verstanden, weil er das nachzusprechen hat, was ihm der Lehrer vorgesagt hat. Soweit das naturwissenschaftliches Grundlagenwissen betrifft, ist natürlich das Nachplappern und Anwenden von Naturgesetzen besser als ihre Nichtkenntnis. Ziel des Unterrichts sollte jedoch sein, beim Schüler das Verständnis für die Ableitung der Gesetze und das Problem zu schaffen, das gelöst werden soll. Ganz besonders schwer hat es der Schüler jedoch dann, wenn er am Schulsystem Kritik übt. In diesen Fällen werden die Schulnoten ganz besonders gern als Disziplinierungsmittel eingesetzt und Zensur mittels Zensuren geübt.
Zusammenfassend ist das Bewertungssystem mittels Zahlen („Noten“) also eine Verfahrensweise, das narzisstische Kränkungen benutzt, um Schüler zum Lernen zu bewegen. Ungewünschtes Verhalten, sogenannte „Fehler“ werden mittels Kränkung bestraft, anstatt das Bemühen der Kinder um bessere Leistungen durch Lob zu verstärken. Bewertet wird nur ein Ergebnis, dass im Fall schriftlicher Lernkontrollen durch die Vermehrung der Aufgaben, die in gleicher Zeit erledigt werden müssen beliebig manipuliert werden kann, jedoch nicht das Bemühen des Kindes.
Die systematische Verletzung der Würde des Menschen ist das Mittel, mit dem die Schule versucht, die Leistungen der Kinder zu verbessern. Das Kind wird an gesellschaftlich verwertbaren Leistungen gemessen und nicht nach seinen menschlichen Qualitäten. Diese spielen für die Versetzung gar keine Rolle.
4.2. Narzisstische Befriedigung im Computerspiel
Mit welchen Methoden arbeiten nun Computerspiele? Diese Frage lässt sich bereits theoretisch beantworten, da es sich um Waren handelt, die verkauft werden, während Schule in Deutschland Pflicht ist. Wer ein Produkt verkaufen wollte, das seine Nutzer kränkt, hätte nur bei masochistisch veranlagten Kindern Absatzmöglichkeiten.
Computerspiele arbeiten im Allgemeinen also mit dem Mittel des Lobs. Das erwünschte Verhalten wird gelobt. Und dies beginnt mit kleinen Schritten in jungen Jahren. Schon der Erstklässler hat ein kleines Handgerät mit Minidisplay, auf dem er mittels seiner Daumen ein winziges Männchen bewegt, der größere Schüler hat einen Bildschirm, groß wie ein Fernsehbild. Das Prinzip besteht immer darin, dass der Spieler Belohnungen erhält, wenn er ein gegnerisches virtuelles Männchen besiegt, sei es in einer Wettfahrt oder in einem Kampf. Ja der körperlich kleine Spieler ist sogar in der Lage riesige und furchterregend schreckliche Monster zu besiegen. Verliert er einmal einen Wettstreit, kann er, und zwar ohne gerügt oder bestraft, beleidigt, benotet, gekränkt oder irgendwie in seiner Würde verletzt zu werden, erneut anfangen. Ja er wird sogar dazu ermuntert, es noch einmal zu versuchen. Viele Spiele statten den Spieler mit Lebenspunkten aus, die sich regenerieren können.
Es sollen hier keine einzelnen Spiele herausgegriffen und bewertet werden, sondern das Prinzip betrachtet werden, nach dem das erwünschte Verhalten erzeugt werden soll. Während die Schule das Bestrafungssystem und die Angst gewählt hat, wobei diese zum Glück (natürlich abhängig vom Alter) oft eher die Zukunftsangst der Eltern ist als die Angst der Kinder, bedienen sich die Computerspiele des Mittels der Belohnungen aller Art: mögen es Steine, Edelsteine, Geld oder Anerkennung von virtuellen „Menschen“ sein, die man von einer Schreckensherrschaft befreit hat, oder einfach das Erringen der Weltherrschaft gegen ein Heer von Feinden. Im Computerspiel lohnt es sich immer, seine Angstgefühle zu überwinden, weil eine Siegmöglichkeit immer besteht oder durch neue Wahl der Ausgangssituation (Waffenwahl, Gegnerwahl) selbst bestimmt werden kann.
Ein wesentlicher Gesichtspunkt scheint auch die Zuwendung des Lehrers zum Lernenden zu sein. Versuche haben gezeigt, dass ein Kind schneller lernt, wenn eine Bezugsperson, mit der Blickkontakt besteht, dem Kind etwas vorführt. Das Lernen durch Imitation und die Ermunterung durch Blickkontakt ist sehr wichtig und macht das persönliche Lernen dem Lernen durch Computerprogramme überlegen. Die Schulpraxis sieht jedoch ganz anders aus: hier besteht keine dyadische Beziehung zwischen Lehrer und Schüler, sondern dem Lehrer sitzen in deutschen Klassenzimmern über 30 Kinder gegenüber. Sucht der Schüler Blickkontakt mit dem Lehrer, blickt er ins Leere oder muss sich, um seinen Wünsch zu befriedigen, irgendwie bemerkbar machen. Das kann zu Störung des Unterrichts führen. Besonders Kinder, die in ihrem Wesen zurückhaltend sind, leiden daher unter mangelnder Zuwendung durch die Lehrer und gerade sie finden dann im Computer einen Ersatz. Der Computer ist nämlich ganz für sie da. Er widmet sich nur dem (einen) Kind, das ihn bedient. Moderne Computerprogramme sprechen zu dem Spieler, so dass sich der Spieler persönlich angesprochen fühlen kann. Die modernen Computerprogramme stellen ihre Aufgaben verbal, geben verbale Erklärungen ab und sprechen Lob aus. Der Spieler spart sich sogar die Mühe des Lesens. Er wird persönlich gelobt, wenn er eine Mission erfüllt hat und zu weiterer Betätigung ermuntert. Die Schule kann in der Regel mit Derartigem nicht aufwarten.
Abgesehen vom Umgang mit Lob und Kränkung sieht die Philosophie lebender Systeme noch einen anderen wesentlichen Unterschied.
4.3. Die Interaktion in der Schule und im Computerspiel
Die Philosophie lebender Systeme nimmt den Regelkreis (mit negativer Rückkopplung) als Modell für die Betrachtung menschlichen Verhaltens (kybernetischer Ansatz). Dieser Regelkreis besteht aus dem sensorischen Teil eines Systems, dem Dateneingang (beim Menschen die Sinnesorgane, die sensiblen Nerven und die Rezeptoren für verschiedene Parameter im Blut), der Datenverarbeitung (im Hirn) und dem Effektorteil, also den ausführenden Organen, die Entscheidungen der zentralen Datenverarbeitung in Handlung umsetzen. Da die Ziele menschlichen Handelns von der Kybernetik nicht erfasst werden, verwendet die Philosophie lebender Systeme für die Instanz, die eine Entscheidung trifft oder ein Ziel festlegt, den Begriff des Dominators und für die ausführende Funktion den Begriff des Effektors geprägt. „Effektor“ in Bezug auf den Körper ist beispielsweise der Arm oder das Bein, das eine Bewegung ausführt. Der Begriff wird jedoch auch zur Charakterisierung der Funktionen in menschlichen Beziehungen angewendet. Hier ist der Mensch, der einen Auftrag gibt, und insbesondere der Geld ausgibt und damit bestimmt, welche Waren wieder hergestellt werden, der „Dominator“, und der Mensch (oder die Menschen), der sich als ausführendes „Organ“ eines Mitmenschen betätigt, der „Effektor“. Der einzelne Mensch, also das Individuum (oder das „System Mensch“) ist danach, wenn er arbeitet und damit im allgemeinen für seine Mitmenschen tätig wird, ein „Effektor“ und wird für diese Effektorentätigkeit bezahlt. Geht er einkaufen und gibt Geld aus, betätigt er sich als „Dominator“.
Betrachtet man unter diesem Gesichtspunkt die Schule und das Computerspiel, sticht ein wesentlicher Unterschied ins Auge:
Die Aufgabe der Schule besteht darin, das Kind auf seine spätere Effektorentätigkeit in der Gesellschaft vorzubereiten. Das Individuum muss irgendwo in der Gesellschaft einen Platz finden, auf dem es etwas sinnvolles für die Allgemeinheit tut, einen Beruf ausübt. Diese Berufsausübung ist Effektorentätigkeit des Individuums für die Allgemeinheit (die Gesellschaft). Als Dominator fungiert die Gesellschaft, und in der Schule der Lehrer, der sich mit dieser Dominatorrolle identifiziert. Schule ist eine Institution, die das ursprünglich freie Kind auf seine Effektorentätigkeit vorbereitet, das Kind zu einem Effektor erzieht. Das ist mit Einschränkung der Freiheit, mit Kränkung und mit Nichtbeachtung der Würde des Menschen als frei über sich entscheidendes Wesen verbunden.
Im Computerspiel ist der Spieler hingegen Dominator. Er entscheidet, was er tun will, er entscheidet, welche Richtung er einschlägt. Selbst, wenn er im Spiel einen Weg einschlägt, der nicht zum Ziel führt und das Ziel als solches vom Spiel (bzw. seinem Macher) festgelegt ist, hat der Spieler im Unterschied zur Schule hier das subjektive Gefühl, etwas entscheiden zu können, sich als Dominator zu betätigen. In der Schule hingegen erlebt er sich als Effektor.
5. Der Umgang mit körperlichen Gewalt
5.1. Körperliche Gewalt in der Schule und in der Gesellschaft
Ein Grundpfeiler unserer Gesellschaft ist die Ächtung körperlicher Gewalt. Anwendung körperlicher Gewalt des Individuums ist unter Strafe gestellt. Wird eine Person Opfer körperlicher Gewaltanwendung bleibt die Sanktion dem Staat überlassen, der das Gewaltmonopol hat. Rachegefühle des Opfers, seiner Verwandten und der Gesellschaft sind tabuisiert, die öffentlichen Medien unterstützen diese Verleugnung natürlicher Wünsche nach Vergeltung. Die Würde des Täters muss selbst bei grauenhaften Taten gewahrt werden. Das urteilende Gericht kann als befangen abgelehnt werden, falls dies nicht beachtet wird.
In der Schule bestehen die konkreten Folgen dieses Verzichts auf Anwendung körperlicher Gewalt darin, dass der Lehrer keine körperliche Gewalt anwenden darf, selbst wenn ein Schüler einen Mitschüler auf grausamste Weise misshandelt oder eine ganze Gruppe von Schülern ein hilfloses Kind brutal zusammenschlägt und –tritt, so dass es später durch lebenslange Hirnschaden seinen Eltern zur Last fällt. Schreitet ein Lehrer in derartigen Fällen ein und wendet dabei körperliche Gewalt an, macht er sich wegen Körperverletzung eventuell strafbar. Wird er bei seinem Einschreiten nahezu totgetreten oder tatsächlich getötet, was meines Wissens zum Glück noch nicht vorgekommen ist, können die Kinder nicht einmal bestraft werden, weil es Kinder sind. Kinder sind nicht strafmündig.
Hinsichtlich körperlicher Gewaltanwendung führt die Einstellung der Gesellschaft zu dieser Frage zu dem paradoxen Ergebnis, dass der Lehrer diese Form der Gewalt gar nicht anwenden darf, während der Schüler bis zu einem gewissen Alter bei Anwendung körperlicher Gewalt gegen Mitschüler oder Lehrer mit gar keinen strafrechtlichen Konsequenzen zu rechnen braucht. Erst in höherem Alter drohen Jugendstrafen, die man kaum als „Strafen“ bezeichnen kann, weil sie in erster Linie der Nacherziehung und der Eingliederung in die Gesellschaft dienen sollen. Selbst bis ins Erwachsenenalter können Täter grausamster Körperverletzungen mit lebenslangen Folgen für die Opfer und deren Verwandten noch nach Jugendrecht bestraft werden.
Die Aufgabe der Lehrer besteht darin, rechtzeitig einzuschreiten, möglichst ohne körperliche Gewalt anzuwenden, und den Schülern durch Belehrung klar zu machen, dass es andere Möglichkeiten gibt, seine Wünsche durchzusetzen. An vielen Schulen werden inzwischen auch Kinder (Mitschüler) eingesetzt, um bei Konflikten zu vermitteln (Mediatoren). Im Ergebnis ändert dies nichts daran, dass es praktisch unmöglich ist, körperliche Gewaltanwendung von Kindern zu sanktionieren, so dass im Ergebnis die Anwendung körperlicher Gewalt oder die Drohung mit Anwendung körperlicher Gewalt zum dem Ziel führt, dass der Täter das bekommt, was er will: das Handy des Opfers, seine Jacke, „Schutzgeld“. Das Opfer ist auf jeden Fall besser beraten, sich den Tätern zu beugen anstatt sich totschlagen oder abstechen zu lassen. Denn guter Wille, Diskussionen, der Versuch, Mitgefühl zu erzeugen und andere relativ hilflose Maßnahmen der Schule sind kein effektiver Schutz. Wollte man eine Einordnung Gewalt anwendender Kinder in eine gewaltfreie Gesellschaft (Schulklasse) effektiv durch gewaltfreie interaktive Mittel erreichen, wäre nach vorsichtiger Schätzung ein Verhältnis von Lehrer zu Kindern von 1: 10 erforderlich. Ein Lehrer, der über 30 Kinder zu unterrichten hat, kann den Schülern wohl kaum nebenbei die Idee der gewaltfreien Durchsetzung von Interessen nahe bringen, außer durch verbale Appelle, die ungehört verhallen.
Die Gesellschaft hat kein Mittel, die Opfer derartiger Gewaltanwendungen effektiv zu schützen oder die Täter dauerhaft aus der Gesellschaft zu entfernen.
Da Schulpflicht besteht, müssen auch Kinder, die den Schulbesuch zum misshandeln von Mitschülern, zu sexuellen Übergriffen, stören des Unterrichts und zu Angriffen auf den Lehrer nutzen (Beleidigung, Bedrohung und körperliche Gewaltanwendung), zur Schule kommen. Den Kindern hingegen, die aus Angst vor der ihnen drohenden körperlichen Gewalt oder aus Angst vor sexueller Gewaltanwendung den Unterricht vermeiden wollen, müssen entweder ihre Ängste bekämpfen oder werden vom Schulsystem bestraft. Die Opfer körperlicher Gewalt und sexueller Übergriffe greifen daher nicht selten zu Alkohol, Cannabis oder anderen Drogen, um ihre realen Ängste zu bekämpfen.
Oder sie verzichten ihrerseits auf Anwendung körperlicher Gewalt und befriedigen ihre aggressiven Wünsche im Computerspiel.
5.2. Körperliche Gewalt im Computerspiel
Der Reiz der Computerspiele liegt unter anderem darin, den Spielern die Befriedigung ihrer aggressiven Wünsche virtuell am Computer zu ermöglichen.
Bereits 1999 kam es in Bad Reichenhall zu dem Amoklauf, auch 2002 in Erfurt, zuletzt im November 2006. Die Aufzählung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. „Im Zusammenhang mit dem Amoklauf eines 18-Jährigen in einer Schule in Emsdetten am 20.11.2006 wird erneut diskutiert, ob sie zumindest bei bestimmten Personen Gewaltbereitschaft fördern können und deshalb eventuell verboten werden müssten.“
Diese Beschreibung sogenannter „Ego-Shooter“ bei „Wikipedia“ (http://www.zum.de/wiki/index.php/Computerspiel/Ego-Shooter), bei denen der Spieler an seinem heimischen Computer virtuelle Menschen tötet, geht direkt auf die typische Reaktion der Öffentlichkeit ein. Verständnis für die Motive oder überhaupt der Gedanke, dass derartige Gewaltexzesse an Schulen ihren Grund in der Schule selbst haben, finden sich nirgends, obwohl weiter mitgeteilt wird: „Der Schüler, der hier zum Amokläufer wurde, war bereits zweimal sitzen geblieben ... . ... in einem Hilferuf vor zwei Jahren ....“ Dass der Schüler unter den Maßnahmen der Schule seelisch gelitten hat und dies zwei Jahre vorher in einem Hilferuf mitgeteilt hatte, gibt offenbar keinen Anlass, öffentlich darüber nachzudenken, welchen Anteil unser Schulsystem an derartigen Katastrophen hat. Allenfalls werden zur entlastenden Erklärung der Jugendlichen derartige Computerspiele als Ursache für aggressive Akte angeführt. Oft im gleichen Atemzug wird allerdings überlegt, derartige Spiele zu verbieten.
Die Karriere eines Kindes, insbesondere des männlichen Kindes, denn bei Mädchen scheinen Computerspiele unbeliebt zu sein, beginnt nun nicht mit Ego-Shooter-Spieler, bei denen der Spieler in der Rolle eines Waffenträgers auftritt und möglichst viele Gegner erschießt. Sondern sie beginnt mit harmlosen Spielen mit kleinen handlichen Geräten mit einem kleinen Bildschirm, auf dem man einen virtuellen „Menschen“ mit dem Daumen bewegt. Dieser sammelt Punkte, Früchte, Diamanten oder ähnliches, muss versteckte Schätze suchen, auch schon mal einen Gegner besiegen.
Schon hier zeigt sich ein wesentlicher Unterschied zum schulischen Benotungssystem: Während in der Schule Fehler bestraft werden, werden hier die erwünschten Leistungen belohnt. Auf die Schule übertragen, würde dies bedeuten, dass im Deutschdiktat nicht die Fehler gezählt werden, sondern die vorschriftsmäßig geschrieben Wörter und das Kind einen Bonus erhält, wenn 90% der Wörter nach Vorschrift gelungen wären. Realiter erhält man als Kind in der Schule allerdings bei nur 90% korrekt geschriebenen Wörtern eine 6.
Eine andere Art der Spiele sind Konkurrenzspiele: Autorennen und deren Variationen. Spielt das Kind gegen Autos im Computer oder in der sogenannten Spielkonsole, hat es mit ein bisschen Übung eine reale Chance, zu gewinnen. Mit anderen Worten: die Gewinnchancen bei einem Computerspiel sind relativ hoch, hängen auch nicht so sehr von der Intelligenz ab, sondern mehr von der Geschicklichkeit, vom Reaktionsvermögen, während die Gewinnchance in der Schule, nämlich bei einer Klassenarbeit bester zu sein, so gut wie Null sind.
Im Computerrennspiel hat das Kind eine überschaubare Anzahl von Mitkonkurrenten, in der Schule hingegen ist die Zahl der Mitbewerber unüberschaubar groß und dementsprechend die Gewinnchance, die Wahrscheinlich, die beste Arbeit zu schreiben, äußerst klein.
Wer also bei einem Vergleich der Bewertungssysteme von Computerspielen und Schule meint, ein Kind würde, hätte es die freie Wahl, lieber versuchen, in der Schule Erfolg zu haben, gäbe sich Illusionen hin. Das gesunde Bedürfnis des Kindes nach narzisstischer Befriedigung und Befriedigung seiner aggressiven Wünsche wird vom primitivsten Computerspiel besser befriedigt als von der Schule und ihrem überflüssigen und die Menschwürde nicht beachtenden Benotungssystem, das das Kind in der Regel zum Opfer macht.
6. Zusammenfassung: Möglichkeiten der Verbesserung des Schulsystems
Die Philosophie lebender Systeme erkennt im Menschen zwei Grundstrebungen seines Handelns, nämlich einerseits die Selbsterhaltung, die im wesentlichen im Stoffwechsel besteht, in der Aufrechterhaltung einer Homöostase, andererseits das Bestreben nach Vergrößerung und Wachstum. Beiden Bestrebungen geht es um die Erreichung des Ziels, um ein Befriedigungserleben - das Handlungssziel liegt also jeweils im Inneren des Systems. Dem Menschen geht es im Unterschied zu anderen lebenden Systemen darum, möglichst viel narzisstische Anerkennung zu bekommen.
Für die Durchsetzung seiner Ziele (Überleben und Wachstum) ist das Individuum mit mehr oder weniger stark ausgeprägten aggressiven Handlungsbereitschaften ausgestattet.
Im deutschen Schulsystem wird das Streben nach Bewegungsfreiheit (zu tun, was man möchte) der Kinder sehr früh unterdrückt. Im Schulsystem wird dem Kind der Lehrstoff vorgeschrieben, es hat kaum Wahlmöglichkeiten über die Inhalte, die es “pauken“ muss, während es sich im Computerspiel zumindest virtuell bewegen kann, herumlaufen kann und sich seine Ziele mehr oder weniger selbst setzen kann. Es hat mehr Mitsprache, es ist im Computerspiel „Dominator“. In der Schule wird es hingegen auf seine „Effektorrolle“ in der Gesellschaft vorbereitet. In der Schule ist der Schüler ein Kind von über 30 Kindern in der Klasse und muss sich dementsprechend die Aufmerksamkeit des Lehrers mit anderen Kindern teilen, während es im Computerspiel die volle Aufmerksamkeit des Computers genießt. Die Einschränkungen der Menschenrechte durch das deutsche Schulsystem wurden bereits von anderer Seite ausführlich geschildert (K.R.Ä.T.Z.Ä – Menschenrechtsreport).
In der Gesellschaft und in der Schule ist das Kind Opfer von Gewalt: Opfer der Vorgaben der Schule und Opfer körperlicher Gewaltanwendung gewaltbereiter Mitschüler, gegen die sich auch die Lehrer nicht durchsetzen können. Gewalt ausübende Kinder können nicht effektiv diszipliniert werden, so dass die Kinder, die entsprechend den Vorgaben der Gesellschaft auf Anwendung körperlicher Gewalt verzichten, im Nachteil sind. Das körperliche oder sexuelle Gewalt ausübende Kind ist im Vorteil, setzt seine Wünsche durch, während das auf körperliche Gewalt verzichtende Kind nicht effektiv geschützt werden kann, real Angst haben muss und diese Ängste mit Alkohol, Cannabis oder andere Drogen zu beherrschen sucht oder sich dem Computerspiel widmet, in dem es seine eigenen aggressiven Wünsche wenigstens virtuell befriedigen kann.
Wollte man der Gefahr, dass es immer wieder zu Gewaltexzessen an Schulen kommt, wirksam entgegentreten und die Kinder unterstützen, die die Forderung der Gesellschaft nach Verzicht körperlicher Gewaltanwendung erfüllen, könnten folgende Maßnahmen helfen:
1. das Schulsystem sollte die überflüssige Bewertung durch Noten abschaffen. Dieses Benotungssystem aktiviert Aggressivität durch seine systematische Verletzung der Menschenwürde.
2. die Zahl der Lehrer müsste nach vorsichtiger Schätzung verdreifacht werden, da eventuell bei einem Lehrer auf 10 Kinder das Erlernen gewaltfreien Umgangs miteinander praktiziert werden könnte. Gegenwärtig hat der einzelne Schüler bei einem Lehrer auf über dreißig Kinder nahezu kein positives Feedback im Vergleich zu der narzisstischen Befriedigung, die er als virtueller Akteur in einem Computerspiel erhält.
3. die Gesellschaft müsste ihren Umgang mit den Kindern, die ihre Interessen unter Anwendung körperlicher Gewalt durchsetzen, überdenken und ein Konzept entwickeln, wie diese bzw. die erfolgreiche Anwendung körperlicher Gewalt effektiv aus der Gesellschaft zu entfernen ist. Das Verbot der Ausübung körperlicher Gewalt durch die Lehrer bei sexuellen Übergriffen gegen Mitschülerinnen und anderer Gewaltausübung durch Schüler, das Fehlen jeglicher körperlicher Bestrafung für gewalttätige Kinder (oder deren Erziehungsberechtigten) und die nachsichtige Sanktionierung schrecklichster Gewalttaten durch Jugendliche bewirken massive Ängste bei den Kindern und Jugendlichen, die auf Gewaltanwendung verzichten. Das Wissen darum, dass die tatsächlichen Opfer, die ihr Leben lang an Hirnschäden und/oder schwersten körperlichen Behinderungen leiden, ihrem Schicksal überlassen werden, während die Täter durch berufliche Hilfsprogramme finanziell unterstützt werden, kann zum Erleben von Hilflosigkeit und innerem Ausstieg aus der Gesellschaft führen.
Das Schulsystem mit seinem freiheitseinschränkenden und kränkenden Maßnahmen und die Forderung der Gesellschaft nach Verzicht körperlicher Aggressivität, der praktisch nur die Lehrer unterworfen sind, während Gewaltanwendung körperlicher Art bei den Kindern mit Nachsicht behandelt wird, stellen einen Nährboden für Alkohol- und Drogenkonsum gerade der Kinder und Jugendlichen dar, die bei Durchsetzung ihrer Interessen auf Anwendung körperlicher Gewalt verzichten.
Ein Teil dieser Kinder und Jugendlichen nutzen die verschiedenen Computerspiele, um ihre verständliche und nachvollziehbare Aggressivität, die durch dieses Schulsystem und die mangelnde Sanktionierung körperlicher Gewaltanwendung erzeugt wird, wenigstens virtuell befriedigen zu können. Die Schule können sie nicht vermeiden, oder sie „schwänzen“ den Unterricht unter Inkaufnahme schwerer Nachteile für sich und ihre Zukunft. Den öffentlichen Raum müssen und können sie jedoch so weit wie möglich vermeiden, wenn sie auf der Straße der Gewaltanwendung anderer Kinder und Jugendlicher im öffentlichen Raum, die sich nicht scheuen, Waffen zu tragen und rücksichtslos einzusetzen, entgehen wollen. Sie flüchten in die private häusliche Geborgenheit und befriedigen am Computer nicht nur ihre reaktiv entstandene Aggressivität, sondern auch ihre Kontaktwünsche, indem sie im Internet Gruppen bilden und Gedankenaustausch pflegen. Die Suchtgefahr der Computerspiele geht von ihrer grundsätzlichen Programmierung aus, den Spieler für jeden noch so kleinen Treffer zu belohnen. Es steuert das Verhalten des Spielers durch Belohnung des Erwünschten, durch positive Rückkopplung. Der Spieler sammelt “narzisstischen Gewinn”, er erhält narzisstische Befriedigung. Die Schule hingegen kennt nur eine Note, die dem Schüler einen derartigen Gewinn verschafft, nämlich die 1 - die Note 1. Schreibt der Schüler in einem Diktat 300 Wörter “richtig” (so, wie der Lehrer es vorgibt) und 2 Wörter “falsch”, wird er nicht für die 200 richtig geschriebene Wörter belohnt, sondern für die 2 falsch geschriebenen bestraft und erhält nur die Note 2. Auf diese Weise steuert die Schule das Verhalten der Schüler durch Bestrafung für noch so kleine Fehler, also im Grunde durch die Angst zu versagen, in Zukunft nicht den Beruf ergreifen zu können, der seinen Fähigkeiten entspricht. Was liegt da für den Schüler näher, als aus diesem Bestrafungssystem in ein System zu fliehen, das das “Richtige” belohnt.
Ein Verbot bestimmter Computerspiele würde an Symptomen herumbasteln und könnte dazu führen, dass mehr körperliche Gewalt real ausgetragen wird. Das, was nötig wäre, würde durch ein solches Verbot vermieden: nämlich unsere Kinder hinsichtlich ihrer Freiheitsdrangs und ihrer Menschenwürde wie Erwachsene zu behandeln, körperliche Gewaltanwendung und sexuelle Übergriffe in der Schule offensiv und effektiv zu bekämpfen und körperliche Gewalt von Kindern und Jugendlichen aus dem öffentlichen Raum zu verbannen. Und das Bestrafungssystem der Schule abzuschaffen und durch ein System der Belohnung des Richtigen, des Erwünschten, zu ersetzen.
Rudi Zimmerman
Februar 2007
Anmerkungen
Skinner Cambridger Professors Quentin Skinner im Gespräch mit der FAZ am15.12.2006
http://www.faz.net/s/RubCF3AEB154CE64960822FA5429A182360/Doc~EDD006D318A844D6EB5E7AC7AB4041070~ATpl~Ecommon~Scontent.html
„Von Tacitus gibt es das Wort „Alle Sklaven sind sklavisch“. Damit wollte er sagen: Wenn man immer aus den Augenwinkeln heraus darauf schauen muß, wie der Herr das findet, was man gerade macht, verändert das den Charakter. Man landet bei Selbstzensur. Für mich ist das einer der wichtigsten Gesichtspunkte der Sklaverei.“
Kants Definition von Aufklärung von 1785
http://www.textlog.de/2335.html
„Sapere aude! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! ist also der Wahlspruch der Aufklärung. Faulheit und Feigheit sind die Ursachen, warum ein so großer Teil der Menschen ... gerne zeitlebens unmündig bleiben ...“.
Der natürliche Fleiß wird in der Schule durch die Noten unterdrückt. Schule erzieht zur Faulheit.
Voraussetzung der Aufklärung Freiheit, von der eigenen Vernunft öffentlich Gebrauch zu machen, Redefreiheit
tagesschau-Chat 05.04.2006
Christian Pfeiffer, Kriminologe
http://www.tagesschau.de/aktuell/meldungen/0,1185,OID5403772_TYP6_THE5390374_NAV_REF1_BAB,00.html
Wer oft Computerspiele spielt, die erst ab 18 freigegeben sind, hat zum einen deutlich schlechtere Schulnoten im Vergleich zu denen, die nie solche Spiele konsumieren, und zum zweiten ist der regelmäßige Spieler solcher Gewaltexzesse im Vergleich zu der Gegengruppe mehr als doppelt so oft als Gewalttäter aktiv.
Art. 3
„(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.
(3) Niemand darf wegen ... benachteiligt werden.“
Hier werden Kinder nicht aufgeführt. |