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4.10. Der Verbraucher
Der Begriff des Verbrauchers ist hier angebracht. Genau so, wie wir einen Regelkreis zwischen Dominator und Effektor konstruieren können, können wir auch einen Regelkreis zwischen Verbraucher und Produzenten von Waren konstruieren. Ich möchte hier aber von einer Interaktion sprechen. So nennt man das in der Kommunikationstheorie oder in der Familientherapie. Der Verbraucher ist natürlich nicht der Kühlschrank, der den Strom verbraucht, sondern das System Mensch, das den Kühlschrank benutzt. Der Mensch verbraucht den Strom und produziert dabei gleichzeitig den Dreck, den das Kraftwerk in den Planeten Erde abgibt. Der Regelkreis oder die Interaktion zwischen Produzent und Verbraucher ist einfach: der Verbraucher braucht etwas, und dieses Etwas produziert der Produzent, der Unternehmer, das Unternehmen, die Fabrik. Ein beliebter Abwehrmechanismus ist der der Depersonalisierung, der Entpersonifizierung. Es ist dann eben kein Mensch, der das Produkt und den Abfall produziert, sondern eine Fabrik. Ich als Verbraucher will natürlich nur das Produkt und lasse den Abfall auf der Erde. Auch wieder eine häufige Verdrängung: den Abfall produziere ich ja nicht, sondern die Maschine. Der böse Fabrikant. Nein, nein und nochmals Nein! So einfach können wir uns nicht aus der Verantwortung stehlen. Wenn ich mir Strom kaufe, bezahle ich dabei nicht nur den Strom und alles, was an der Idee "Strom" und der Umsetzung dieser Idee dranhängt, sondern ich bezahle auch den Abfall, der bei der Stromproduktion entsteht und der meine Umwelt verpestet.
Also fangen wir an: Ich kaufe als "Verbraucher" eine Strickjacke mit allem, was an deren Produktion dran hängt an handwerklichen- und Denktätigkeiten. Das "Produkt" Strickjacke wird irgendwo produziert. Einige Teile hier, andere da, und irgendwo werden sie zu einer Strickjacke zusammengesetzt. Mein Punkt ist wie immer: der Käufer. Der Verbraucher trifft die Entscheidung darüber, welches Produkt er erwirbt. Der Produzent ist sein Effektor.
Aber, und jetzt kommt ein großes Aber: diese Betrachtung enthält einen Willkürakt. Ich appelliere an die Verantwortung des Verbrauchers. Ich vollziehe eine Interpunktion, indem ich sage: der Verbraucher entscheidet. So sollte es sein, so kann es sein und so muss es werden. Das sage ich in Anbetracht folgender Fakten: das sich entscheidende System Mensch ist einerseits (von innerhalb seines materiellen Körpers) bestimmten biologischen Bedürfnissen ausgesetzt und andererseits (von außerhalb seiner Grenzen) einem Bombardement von Angeboten, um die geworben wird. Bei dieser Werbung ist der niedrige Preis das eine Argument, das andere sollte die Qualität sein. Da sich diese in der Regel erst nach längerem Gebrauch eines Produktes zeigt, ist sie beim Kauf selten überprüfbar. Deshalb muss das Individuum sich bei seiner Entscheidung auf irgend etwas verlassen. Und worauf verlässt es sich? Es verlässt sich auf die Masse. Wenn die Masse etwas kauft, muss das gut sein. Die Unterwerfung unter das "Urteil" der Masse ist ein Verhalten, das wahrscheinlich auch biologische Wurzeln hat. Das Sichanpassen, das Sichunterwerfen unter das Urteil der Allgemeinheit ist eine Verhaltensstrategie, die Überlebensvorteile hat und die deshalb genetisch gespeichert ist.
Mit anderen Worten: die Interaktion kann man auch anders denken, nämlich: der Produzent stellt eine Ware her und der Verbraucher kauft sie. Der Produzent kurbelt die Herstellung an und der Käufer den Verbrauch. So handelt es sich um einen sich selbst verstärkenden Regelkreis. Je stärker die Nachfrage, desto größer die Produktion. Oder: je höher die Produktion, desto mehr steigt die Nachfrage. Überall hängt diese Strickjacke im Schaufenster, immer mehr Menschen tragen sie, also muss ich sie auch haben. Dieser Regelkreis wird allerdings irgendwann vom Individualitätsgesetz eingeholt. Jeder Mensch will einmalig sein und trägt deshalb irgendwann diese Strickjacke nicht mehr.
Das aber auch nur nebenbei. Hier möchte ich klären: die Produzenten und die Werbung nutzen zur Erzielung eines Gewinns biologisch festgelegte Handlungsstrategien der Menschen aus, um die Kaufentscheidung des Menschen zu beeinflussen. Das sollte das Individuum wissen und bedenken. Und: das Individuum sollte auch wissen, dass es nicht nur die Herstellung des Produkts bezahlt, sondern gleichzeitig auch die Produktion von Müll. Der Mensch als Verbraucher ist gleichzeitig Müllproduzent.
Aber nebenbei ein anderes Problem: Der Produzent und der Verbraucher konkurrieren um die Interpunktion. Es sieht derzeit so aus, als ob der Verbraucher der Schwache ist. Zwischen seinen Wünschen nach Besitz, Konsum und Genuss und den drängenden und schmackhaften Angeboten der Werbung schmilzt sein Wille dahin. Er wird zum passiven Verbraucher. Er vergisst seine Steuerungsmöglichkeit. Er verdrängt sie. Er verdrängt sie, weil sie auch Verantwortung mit sich bringt. Er mag die Verantwortung nicht. Er schiebt die Verantwortung für die Vernichtung der Umwelt gern ab, projiziert sie auf den Bösen. Zum Beispiel auf den bösen Kapitalisten.
In Wahrheit ist der "Kapitalist" genetisch genauso programmiert wie jeder Mensch. Der Mensch ist wie jedes lebende System auf Wachstum programmiert, und wenn das körperliche Größenwachstum abgeschlossen ist, wächst das Bankkonto des Menschen weiter und sein Geist. Auf diesen drei Ebenen kann das System Mensch wachsen. Die Menschen sind natürlich unterschiedlich. Einer wächst besonders geistig, ein anderer legt seinen Schwerpunkt auf das Wachstum seines Kapitals. Ein Dritter sieht sein Glück im Genuss. Das wären Formen der persönlichen Selbstentfaltung. Sehr viele Menschen ziehen die Vermehrung dem persönlichen Wachstum vor und zeugen viele Kinder. Das belohnen die Gene mit Lustgefühlen. Der "Kapitalist" erfüllt lediglich die Wünsche der Menschen. Aber der "Kapitalist" rechnet nicht mit dem Individuum, sondern mit der Masse. Mit der Menschmasse. Er will die Wünsche des Masse erfüllen. Deshalb ist sein Bestreben, die Wünsche der Masse zu definieren, zu manipulieren, zu kontrollieren. Er will die Interpunktion bestimmen und muss durch seine Werbemaßnahmen das Wünschen der Menschen entsprechend seiner Produktion steuern. Das scheint ihm auch zu gelingen. Er kann sich dabei auf das Anpassungsstreben der Masse verlassen. Aber: das muss nicht so bleiben. Das System Mensch wird stärker, der neue und ganze Mensch übernimmt zunehmend die Verantwortung und die Definitionsmacht über die Interpunktion der Interaktion zwischen Produktion und Verbrauch.
Das Märchen vom bösen Kapitalisten ist überwunden. Auch die Realität der Diktatur des Proletariats, in der sich eine Partei anmaßte, die Verbraucherwünsche einem Plan zu unterwerfen, ist überwunden. Die Verantwortung für die Produktion trägt der Konsument, der Verbraucher, der Käufer. Jeder Mensch, der Geld ausgibt, übernimmt mit diesem Akt die Verantwortung für die Produktion von Waren und von Abfallprodukten, die Verantwortung für die Zukunft der Menschheit. Damit bestimmt das System Mensch nicht nur die gegenwärtige Produktion, sondern auch die Zukunft. Die Zukunft der nachfolgenden Generationen von Menschen.
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